Freitagnachmittag an der Zentralstelle PoC: „Menschen mit einer Haltung, die gerade jetzt gebraucht wird“
Freitagnachmittag in der Karlsruher Oststadt. Es ist 16:20 Uhr. Sie sind zu sechst: Jana Kück-Ben Henia, Nele Almstedt, Anna Owen, Justin Kistner, Julius Stang und Marvin Schuchert. Nur noch ein kurzer Moment und für unsere sechs Protagonisten beginnen 180 Minuten, die es in sich haben: Antigen-Schelltests im knappen Zwei-Minuten-Takt in der Zeit bis 19:30 Uhr.
Der Rettungstransportwagen (kurz: RTW) mit Kennzeichen KA-SB 8834 steht längs des Substage. Aus einer Buchse an der Wand der Kulturstätte, die seit Monaten auf Besuchende wartet, kommt heute der Strom. Damit werden der RTW versorgt und ein Fahrzeug, das wie ein Mannschaftswagen aussieht und quer zum RTW steht.
Der Raum, der sonst genutzt wird, ist heute belegt. Die Helfenden haben daher auf dem Hof die Fahrzeuge für die Testungen bereitgestellt. Die Zentralstelle PoC am Alten Schlachthof in der Oststadt ist die offizielle Teststelle für Bürgerinnen und Bürger und sie ist die Teststelle für Besuchende von Pflegeheimen im Stadt- und Landkreis Karlsruhe.
Fünf Personen warten also unter freiem Himmel als erste auf ihre Testung. Als erste von ihnen tritt um 16:30 Uhr die Person, die die Nummer „00“ zugewiesen bekam, durch die offene Seitentür des RTW. Eine Frau im Schutzkittel, hellgelb, bittet sie, Platz zu nehmen. Ihre Hände stecken in Handschuhen, das Latex blau, hauchdünn. Durch ihre FFP-2-Maske tönt freundlich ein Hallo.
Dezente Zeichen des Willkommens unter zunächst Fremden
Nele Almstedt, Physiotherapeutin, muss gedacht haben, dass dieser für Schutz und Hygiene unabdingbare Auftritt auf viele abschreckend wirken könnte. Auf den freien Flächen von Gesicht und Kopf jedenfalls hat sie für Ausgleich gesorgt. Wer genauer hinschaut, sieht, dass sie Perlenohrringe trägt und dass sie sich dezent und doch wirksam die Partie um die Augen geschminkt hat. Lidschatten, Wimperntusche und Kajalstift signalisieren: Alles gut, das ist hier kein OP-Saal.
Das Gleiche gilt für die zweite Frau in dem Wagen, die mit Handschuhen nun einen präparierten Wattestab nach vorne reicht. Die Augen von Jana Kück-Ben Henia über der Schutzmaske: Sie glänzen – auch bei ihr der Griff zu etwas Kosmetik als höfliche Geste gegenüber Menschen, die sich zunächst fremd einer Begegnung stellen und auf diese Weise vielleicht Vertrautes antreffen, ästhetisch, freundlich, leicht.
Die Beiden arbeiten Hand in Hand: Kück-Ben Henia reicht das Stäbchen. Almstedt greift danach und zum ersten Mal an diesem Nachmittag beugt sie sich nun vor. Die Person vor ihr legt leicht den Kopf in den Nacken. Was folgt, ist der erste Nasen-Abstrich für die Sars-COV 2-Antigen-Schnelltests, insgesamt 150 bis zum Abend.
Nur eine halbe Stunde später hat sich die Zahl der Wartenden auf 20 vervierfacht. Es ist 17 Uhr und unter den überwiegend jungen Menschen sind eine Familie mit Kind, zwei Paare, Einzelpersonen. Sie bilden eine Schlange, die im Schutz der Fahrzeuge bis zur Ecke des Substage reicht. Dort ist eine Beach-Flag aufgestellt, gut drei Meter hoch. Ihr Stoff in Rot und Gelb, den Farben des ASB, flattert leicht im kühlem Wind.
Die Schlange geht weiter um die Ecke und reicht weiter bis zu der Freitreppe, die zur Dachterrasse des schwarzen Gebäudeblocks führt. Nur eine Viertelstunde später hat sich die Zahl der Wartenden wieder auf Vier reduziert. Julius Stang trägt die rot-gelbe Jacke der Samariter und hält zwei Zettel in der Hand, Ausdrucke mit jeweils dem Testergebnis. „Die Zehn und die Elf“, ruft er.
Auf dem Hof haben sich diejenigen, die mit den Tests schon durch sind, in Nähe der Fahrzeuge in die wärmende Sonne gestellt. Niemand reagiert. Auch als Stang zum wiederholten Male die „00“ ausruft, keine Reaktion. Möglich, dass jemand mit mehr Wartezeit gerechnet und einen kleinen Spaziergang eingelegt hat.
Konzentrierter Einsatz hinter den Kulissen
Stang geht zurück zu dem Fahrzeug, das nach Mannschaftswagen aussieht. Darin steht rechts ein Kopierer auf einem von zwei fest installierten Tischen. Gerade hebt Justin Kistner die Klappe hoch und solange sind von seinem Gesicht nur Augen, Haare, Stirn zu sehen. Von seinem Einsatz hier nimmt niemand heute groß Notiz.
Das Fahrzeug, sonst Gerätewagen der Drohnenstaffel, ist, wenn man so will, das „Back-Office“: Auswertung der Tests, Eintrag ins Formular, Dokumentation. Kistner wirft prüfend einen Blick auf das Original mit dem Ergebnis, setzt den ASB-Stempel darauf und fertigt eine Kopie davon an. Kopien legt er auf einen Stapel, die Originale reicht er Stang weiter für die Kunden, wie sie die Wartenden nennen.
Am Tisch links hat sich, von den Menschen unbemerkt, Anna Owen installiert. Im Minutentakt reicht Kück-Ben Henia ihr aus dem RTW die Röhrchen mit den Proben. Soeben hat Owen wieder fünf Tropfen der Lösung aus einem Röhrchen auf eine Testkassette geträufelt. Dann startet sie ihren Timer: Nach 15 Minuten wird das Ergebnis abgelesen.
Owen wirkt versunken, in die Aufgabe vertieft. Sie schaut auf das nächste Röhrchen, liest die Nummer ab, überträgt diese auf die Testkassette. Die Nummer ist die, die die getestete Person zuvor mit ihrem Formular erhielt. Auf dieses trägt Owen nun die Uhrzeit ein und, sobald sie es abgelesen hat, das Testergebnis. Kreuzchen aufs Blatt an entsprechender Stelle, Unterschrift, weitergereicht an Justin Kistner, und weiter.
„Egal, wann ich da war: immer wieder neue Gesichter“
Eine Frau mittleren Alters wartet in der Sonne darauf, dass ihre Nummer aufgerufen wird: die 34. Sie wohne in der Oststadt und komme regelmäßig hierher, sagt sie, „Ich besuche einen Angehörigen im höheren Alter, da möchte ich mich rückversichern.“ Sie wolle vor allem für ihr Umfeld „auf der sicheren Seite“ sein. Dann lacht sie und fügt hinzu, einmal auch sei der Grund banaler gewesen: „Ich wollte zum Frisör.“
Mit dem Angebot des ASB Am Alten Schlachthof zeigt sie sich zufrieden: „Es geht schnell, problemlos, alles ist eingespielt. Egal, wann ich da war: Ich habe unter den Helfenden immer wieder neue Gesichter angetroffen und alle Leute waren nett.“ Sie spende immer gerne etwas, sagt sie noch: „Die Freiwilligen stehen ja immerhin in ihrer Freizeit hier.“ Jetzt hört sie ihre Nummer und Julius Stang kommt auf sie zu.
Sie gibt ihm das laminierte Kärtchen mit der Nummer und nimmt dafür den Ausdruck entgegen. Das Kärtchen hatte sie, als sie zuvor in der Schlange stand, zusammen mit einem Klemmbrett erhalten. Darauf: das Formular für die nötigen Angaben zur persönlichen Erreichbarkeit. Kärtchen, Klemmbrett, Kuli – alles desinfiziert.
Ein eingespieltes Team, optimierte Abläufe
Gegen 17:30 Uhr schaut Tobias David, ASB-Regionalleiter für Karlsruhe, vorbei und hält Ausschau nach dem Mann, der mit seinen 1,90 m sonst sofort auffällt. Da ist er: Marvin Schuchert. David geht auf ihn zu und bittet ihn um einen Schlüssel. „Ich hab‘ noch mal Nachschub an Material für die Teststelle mitgebracht“, sagt er. „Gut“, bekommt er zu hören – und: „Der Toner für den Drucker reicht noch.“
Als David zurück ist, stellt er sich für einen Moment an den Rand des konzentriert ablaufenden Geschehens. Die Helfenden sieht er als „Menschen mit einer Haltung, die gerade jetzt gebraucht wird: Sie packen an, sind zuverlässig und zugewandt.“ Das Gefühl, ‚raus‘ zu kommen und gegen die Pandemie etwas tun zu können, sei für viele sehr gut, meint er. Ein zweites Team ist parallel in der ASB-Seniorenresidenz Am Park im Einsatz, ganz nahe in der Südstadt-Ost.
Bald darauf, es ist kurz nach 18:00 Uhr, zählt Marvin Schuchert, der 1,90-Meter-Mann, durch: „88 waren da, Nummer 69 hat das Ergebnis.“ Er sagt das ohne Stolz. „Wir sind schneller geworden, über die Zeit, aber ohne in Hektik zu verfallen, ohne zu hudeln." Man habe es geschafft, den Kräfte-Einsatz herunterzufahren: „Aufbau, zwei Autos, zwei ‚Mann‘. Wir kommen ‚getestet‘ zum Dienst. Und wir sehen immer noch den Menschen, vor allem, wenn wir in den Heimen testen.“
Zum Ausgleich: „ein bisschen Schlaf und Radfahren“
Schuchert sagt, er schätze den für ihn freien Mittwoch. „Die Dienst-Abende mit der Drohnenstaffel, wo wir Themen besprechen oder in kleinen Gruppen üben, in netter Gesellschaft – das ist auch ein Stück Erholung.“ Sonst freue er sich zum Ausgleich über „ein bisschen Schlaf und Radfahren.“ Wie er seien auch andere hier sonst in der Drohnen- oder der Rettungshundestaffel des ASB aktiv oder aber im Sanitätsdienst.
Er hat gerade zu Ende gesprochen, da kommt jemand auf ihn zu und wedelt mit seinem Kärtchen. Es trägt die Nummer „00“. Warum kein Anruf erfolgt sei, will die Person wissen, und sagt, sie sei nun eigens noch einmal hergekommen. „Sie wurden aufgerufen“, stellt Schuchert klar. Die Person hatte zuvor „angerufen“ verstanden. Das Missverständnis sorgt für Heiterkeit. Alle, die es mitbekommen, lachen.
"Wir sehen immer noch den Menschen, vor allem, wenn wir in den Heimen testen.“
Marvin Schuchert
Wege und Verbindungen zum ASB
Unsere sechs Protagonisten stehen stellvertretend für gut 30 Freiwillige, die für den Arbeiter-Samariter-Bund in und um Karlsruhe für die Testungen im Einsatz sind. Sie eint der Wille, Menschen, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen, damit etwas Sicherheit für den Alltag in der Pandemie zu geben, und Infektionsketten zu durchbrechen.
- Marvin Schuchert, 30 Jahre, kam mit dem ASB in Kontakt, als er für die Karlsruhe Marketing und Event GmbH (kurz: KME), seinen Arbeitgeber, den Tag der offenen Baustelle der Kasig mitorganisierte. Schucherts Aufgabengebiet bei der KME ist das Lenken von Besucherströmen, Fachbegriff „Crowdmanagement“, als Projektreferent Sicherheit. In seiner freien Zeit bringt er sich in das Team der ASB-Drohnenstaffel ein. Seit November 2020 allerdings gilt seine Priorität den Testungen, was sich mit Inbetriebnahme der Zentralstelle PoC seit Februar für ihn nochmals intensiviert hat.
- Nele Almstedt, 34, ist Physiotherapeutin. Seit 2014 engagiert sich die Karlsruherin als entsprechend qualifizierte Sanitätshelferin im ehrenamtlichen Zweig des ASB. Seit Dezember unterstützt sie die Gruppe, die mit Abstrichen Antigen-Schnelltests in Pflegeheimen vornimmt. Sie wirkt mit in der Zentralstelle PoC, in der Besuchende solcher Heime sich ebenso testen lassen können wie Bürgerinnen und Bürger im Stadt- und Landkreis Karlsruhe.
- Jana Kück-Ben Henia, 41, ist Pflegedienstleiterin der ASB-Seniorenresidenz Im Blumenwinkel in Durlach. Sie stellte sich so an verantwortlicher Stelle von Beginn an mit kühlem Kopf und entschlossen der Gefahr in der Pandemie, um Bewohnende, Team und sich selbst vor dem tückischen Virus zu schützen. Bis zu drei Mal die Woche - meistens Freitag, Samstag, Sonntag – streift sie sich das blaue Shirt der ASB-Ehrenamtlichen über, für die Testungen.
- Julius Stang, 30, ist wie Schuchert Mitglied im ehrenamtlichen Drohnenteam des ASB Karlsruhe. Von Beruf ist er Fluglotse. Für die Deutsche Flugsicherung mit Sitz in der Karlsruher Waldstadt kontrolliert er am Bildschirm Flugbewegungen.
- Justin Kistner, mit 19 Jahren der Jüngste in der Gruppe, war motiviert, in seiner freien Zeit „etwas Sinnvolles zu tun“, wie er sagt. 2019 schloss er sich im Arbeiter-Samariter-Bund den Ehrenamtlichen an. Nach Feierabend leistet er Sanitätsdienst, etwa bei Events. So steht er für den Bevölkerungsschutz in der Region Karlsruhe ein. Beruflich stellt Kistner sich seinen Aufgaben bei der Deutschen Post AG.
- Anna Owen, 36, bringt ihren Hintergrund als approbierte Medizinerin (Dr. med.) und Chemikerin (B. Sc.) in die vom ASB betriebene Zentralstelle PoC ein. Grund dafür, dass sie über die KME angefragt wurde: ihr vielfältiges ehrenamtliche Engagement in und für die Stadt Karlsruhe. Sie unterstützt seit Ende Februar die Testungen von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Besuchenden von Pflegeheimen. Owen arbeitet im Quereinstieg als so genannte Lokalisierungsmanagerin bei Gameforge.
Einsatzorte in Stadt- und Landkreis
An allen sieben Tagen der Woche sorgten die Freiwilligen mit der Mission „Testung“ für eine besondere Art von Bevölkerungsschutz:
Am Alten Schlachthof halfen sie in der Zentralstelle PoC-Antigen-Schnelltest bis Ende Juni 2021 täglich aus. Darüber hinaus waren sie in der Region unterwegs: Mit Schnelltests unterstützten sie bis Ende Juli 2021 regelmäßig Bewohnende und Mitarbeitende in den ASB-Seniorenresidenzen.
Hier die Einsatzorte der Helfenden:
- Karlsruhe-Durlach, ASB-Seniorenresidenz Im Blumenwinkel
- Karlsruhe-Oberreut, Haus Lucia Hug (ASB)
- Karlsruhe-Oststadt, ASB-Seniorenresidenz Am Ostring
- Karlsruhe-Südstadt Ost, ASB-Seniorenresidenz Am Park
- Bretten, ASB-Seniorenresidenz Bretten Am Saalbach
- Ubstadt-Weiher, ASB-Pflegezentrum Josefshaus