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SPECIAL Katastrophenschutz

Professionell, organisiert und strukturiert als Verband | Ahrweiler: bewegender Einsatz von Karlsruher Kräften

Katastrophenschutz ist eine unverzichtbare Leistung, wenn Menschen durch Elementar-Ereignisse in Not geraten sind. Wie wichtig Hilfe dann ist, führte den meisten von uns das plötzliche Hochwasser im Westen Deutschlands vor Augen: Ganze Landstriche verwüstet, Häuser, auch Krankenhäuser zerstört, Menschen verletzt und von jetzt auf gleich ihrer vier Wände beraubt.

Den getroffenen Menschen – und den Einsatzkräften – in Rheinland-Pfalz kamen Mitte Juli 2021 auch Einheiten des ASB Baden-Württemberg zu Hilfe. | Bildnachweis: ASB Region Karlsruhe (A. Walke)

## Samstagabend, 17. Juli 2021, 22:30 Uhr an der ASB-Rettungswache in Karlsruhe-Durlach ##

Das Fahrzeug des Bevölkerungsschutzes steht zurück an seinem Platz. Stefan und Annika freuen sich nun auf die Dusche zu Haus. Zwei Stunden lang, seit ihrer Rückkehr aus dem Einsatz, haben Stefan und Annika Walke es gereinigt. Erde, Spuren von Matsch, Schlamm: Der Innenraum hatte ausgesehen, als hätten Arbeitende an einer Baustelle den Wagen genutzt und vor dem Betreten immer wieder vergessen, sich die Schuhe abzustreifen.

Das Reinigen des Fahrzeugs jetzt fällt mit in den Dienst. „Es gehört einfach dazu, dass das Material zum Schluss wieder einsatzbereit gemacht und gereinigt wird.“, erklärt Stefan später im Gespräch. Für die Beiden ist es wie ein Schritt zurück in die Normalität, jetzt, nach ihrem ersten Einsatz in einer Katastrophenlage.

48 Stunden Einsatz liegen hinter ihnen: Einsatz-, Wach-, Fahrt- und Bereitschaftszeit im nördlichen Rheinland-Pfalz. Davor schon hatten sie normal in ihren Jobs gearbeitet. Den Donnerstag mitgerechnet waren sie 66 Stunden lang, wie man so sagt, auf den Beinen. Die „echten“ Pausen dazwischen belaufen sich auf gerade einmal sechs Stunden. Eine Transport-, eine Erkundungs-, zwei Evakuierungsfahrten waren ihre Aufgaben.

Rückblick: Als Antwort auf das Hochwasser kommt ein Marschbefehl

## Donnerstagnachmittag, 15. Juli 2021, 16:10 Uhr in einem Karlsruher Homeoffice ##

Eine Pizza in den Ofen schieben, es sich auf dem Sofa gemütlich machen, den Fernseher einschalten – das kann sich auch Stefan Walke nach Feierabend gut vorstellen, wenn „die Welt in Ordnung“ ist… Doch dieser Donnerstag sollte anders verlaufen, ganz anders. Auf dem Smartphone des IT-Referenten läuft um 16:10 Uhr die „Erste Abfrage“ auf – Aufruf zu einem Hilfseinsatz in Rheinland-Pfalz. Absender ist der Leiter Bevölkerungsschutz im Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Region Karlsruhe Carsten Schmidt.

Der erhielt die so genannte Anforderung von der unteren Katastrophenschutzbehörde, die wiederum vom Regierungspräsidium und dieses vom Innenministerium des Landes Baden-Württemberg als ursprünglicher Quelle. Binnen 30 Minuten klärt Stefan Walke mit seiner Frau Annika, „das machen wir, zusammen, wir zwei“, informiert seinen Arbeitgeber, klappt den Laptop in seinem Homeoffice zusammen. Der Einsatzauftrag – „Marschbefehl!“, das heißt tatsächlich so – ist da. Stefan packt, bis Annika heimkommt, die ersten Sachen.

Aufbruch ins Ungewisse, doch als „geschlossener Verband“

Dann holt er das Fahrzeug in der für ihn nahe gelegenen Rettungswache in Durlach, einen Krankentransportwagen mit zwei Tragen, Kürzel KTW-B. Wenig später fahren Stefan und Annika los, mit „Sondersignal“ (Blaulicht), Eile ist geboten, nach Bruchsal. Dort dient die Landesfeuerwehrschule als Sammelpunkt. Um 17:50 Uhr treffen die Beiden dort ein.

Das ASB-Fahrzeug mit den Walkes an Bord ist einer von vier Krankentransportwagen (KTW) aus dem Rettungsdienstbereich Karlsruhe. 100 KTW sind es insgesamt, die aus allen Teilen Baden-Württembergs gekommen sind (die Medien berichteten).

Alle gemeinsam fahren sie später, 19 Uhr, als „geschlossener Verband“ (siehe "Stichwort") Richtung Rhein. Den ersten Abschnitt bis zur B36 sperrt die Polizei für sie ab. Ab Germersheim-Nord geht es weiter über die B9 und über die A61 bis nach Grafschaft, einer Gemeinde im Landkreis Ahrweiler im Norden von Rheinland-Pfalz.

Ort mitten im Leben ist Basis für außergewöhnliche Mission

Die Gegend ist vielen von Ausflügen oder als Urlaubsidyll bekannt. Was wird die Helfenden nun in den bevorstehenden Stunden dort erwarten? Sie fahren mit Blaulicht und, wo nötig, mit Martinhorn, also mit Sonder- und Wegerechten ausgestattet.

Gegen 22:30 Uhr bezieht der Verband seinen ersten „Bereitstellungsraum“: Basisquartier ist der Stammsitz des Süßwaren-Konzerns Haribo-Holding GmbH & Co. KG. Kurz Zeit für einen Toilettengang auf dem Betriebsgelände und zum Orientieren. THW, DRK und ein kirchlicher Träger heißen die Helfenden aus Baden-Württemberg mit einem Nachtmahl willkommen.

Die Feldküche, die sie am Ort aufbauten, reicht deftige Burger. Hier also ist die Welt „noch in Ordnung“. Für Stefan und Annika wird sie das bis in die frühen Morgenstunden des Freitags auch bleiben. Die Verbandführung hat sie zunächst zur Bereitschaft eingeteilt.

Warten bis zum eigentlichen Auftrag „gehört dazu“

Es ist kurz vor Mitternacht. Die Beiden versuchen, auf den Tragen des KTW eine möglichst bequeme Ruheposition zu finden. „Warten gehört zum Einsatz dazu“, sagt Stefan: „Du döst vor Dich hin, ein Ohr auf Smartphone und Funkgerät gerichtet.“ So geht das in dem Fall bis 04:30 Uhr früh. Dann der erste Einsatz für das Team: Unterstützen beim Evakuieren einer Ortschaft. Menschen, so erfahren sie, stehen an einer Sammelstelle, sollen abgeholt und zu einer Betreuungsstelle gebracht werden.

Die Fahrt geht gut zehn Kilometer durch verwüstetes Gebiet. Verstörende Szenen halten Stefan und Annika jetzt wach und brennen sich in ihr Gedächtnis. Was entlang der Strecke aus den Augenwinkeln zu sehen ist, lässt die Beiden denken, sie seien „in ein Kriegsgebiet geraten“ oder an den Set für den Dreh „eines schlechten Action-Films“.

Bahnschienen liegen in der Landschaft, wie Gummi verbogen, große Äste sind angespült, Autos ruhen wie aufgebockt auf einer Mauer. Die Straßen sind verschlammt. Was bis vor kurzem in Kühlschränken lagerte: Das Wasser hat es ausgespült. „Ungekühlt beginnt das Zeug am Straßenrand zu gären“, so Stefan.

Wenn Straßen plötzlich enden, Brücken unpassierbar sind

Bis in die Mittagszeit zieht sich diese erste Tour und im Anschluss gibt es für die Beiden die erste „echte“ Pause. Anderthalb Stunden immerhin von 12:30 bis 14:00 Uhr, Ruhen im Fahrzeug auf den Tragen, ohne Erreichbarkeit durch die Einsatzleitung sicherstellen zu müssen. Das Funkgerät aus, das Smartphone auf lautlos, nur der Wecker ist gestellt.

Um 14 Uhr steht für Stefan und Annika eine „Gebietserkundung“ an. Die Einsatzleitung weiß von einer Betreuungsstelle der ersten Stunde. Doch Telefon oder Funk: Fehlanzeige. Es ist unbekannt: Wer ist dort Ansprechpartner, gibt es freie Kapazitäten oder umgekehrt Bedarf an Unterstützung, Verpflegung oder einer Ablösung?

Die beiden Karlsruher machen sich auf den Weg, probieren es mit Google-Maps, haben Glück: Viele unpassierbare Stellen zeigt der Dienste-Anbieter bereits an. „Doch immer wieder standen wir vor einer Absperrung – Straße unbefahrbar – und mussten uns einen neuen Weg suchen. Wir haben immer wieder auch Menschen unterwegs gefragt, wie man weiterkommt.“

Als sie die Stelle erreichen, funktioniert zum Glück das Mobilfunknetz: „Per Handy, das ging gerade“, so Stefan, „haben wir mit der Einsatzleitung gleich weitere Fragen geklärt und Fotos gemacht.“ Auftrag abgearbeitet, zurück zur Einsatzleitung, die mitgebrachten Fotos zeigen, so also sieht es da jetzt aus.

Stichwort: geschlossener Verband

| Einsatzfahrzeuge, die als solcher Verband fahren, gelten verkehrsrechtlich als ein Fahrzeug. Was für das erste Fahrzeug in der Kolonne gilt: Es gilt grundsätzlich auch für alle weiteren. Ampel fürs erste Fahrzeug auf Grün? Dann für die im Anschluss auch. Ampel fürs erste Fahrzeug auf Rot, Blaulicht an und Martinhorn? Dann tun die im Anschluss es ebenso und man passiert die Kreuzung als geschlossener Verband.

Der Wechsel zwischen Normalität und „Unwirklichkeit“

18:30 Uhr, es ist Abend geworden. Die Einsatzleitung gönnt den Beiden eine zweite Pause. Wieder stellen sie ihren Wecker, jetzt auf 23:00 Uhr. Das Kraft schöpfen – sicher hilfreich vor dem, was noch für die Nacht ansteht. Ein älteres Ehepaar hat Hab und Gut ans Hochwasser verloren und zudem Verletzungen davongetragen.

Stefan und Annika holen die Patienten aus dem Krankenhaus ab und bringen sie zu einer Betreuungsstelle. „Das Pärchen war froh, als wir kamen“, so Stefan, „doch die mussten erst realisieren, was eigentlich passiert ist.“

Als die Karlsruher eine Tankstelle anfahren wollen, wird klar: Diesel ist hier in dieser Region gerade knapp. Sie fragen, an welcher Tankstelle sie mehr Glück haben könnten und steuern diese an. Auf dem Weg dorthin entdecken sie eine, die kurzerhand auf 24-Stunden-Betrieb umgestellt hat.

Aussteigen, zum Zapfhahn greifen, zur Kasse gehen – bei diesen gewohnten Verrichtungen gehen Stefans Gedanken unweigerlich zurück an die Orte der Verwüstung: „Da haben Kräfte gewaltet, die man sich nur sehr, sehr schwer vorstellen kann.“

„Zum Tanken hätten wir sonst noch auf das Spezialfahrzeug des THW zurückgreifen können. Das klappert in so einem Fall die Tankstellen ab, rundum.“

Stefan Walke

Aufbruch unterm Abendhimmel | Bildnachweis: ASB Region Karlsruhe (A. Walke)

Fahren im Verband | Bildnachweis: ASB Region Karlsruhe (A. Walke)

Stichwort: Bundesakademie

| Die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung mit Sitz in Bad Neuenahr-Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) gehört zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Vorläufer der BABZ war die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz, kurz AKNZ.

Begegnung, die bewegt: Transfer
von Patienten - aus einem Hospiz

Es ist Samstag früh, „als wir überhaupt erst mal eine richtige Lagebesprechung hatten, mit der Einsatzleitung“, berichtet Stefan. Sie erfahren, dass sich in Bruchsal noch an diesem Tag „ablösende Kräfte“ bereit machen. Außerdem: Der Bereitstellungsraum wird bald verlegt nach Bad Neuenahr-Ahrweiler, an die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ, siehe "Stichwort"). Die hat just nahe der vom Hochwasser getroffenen Region ihren Sitz.

Für Stefan und Annika steht nun ein kniffliger Auftrag an: ein Hospiz, das vom Hochwasser getroffen ist, zu evakuieren. Die Menschen hatten sich für ihre letzte Lebensphase an einen heimeligen Ort zurückgezogen, in ihrem Fall die Hospizstation einer Klinik. Nun sollen sie – in dieser Lebensphase sicher besonders belastend – diesen verlassen und weiter ziehen an einen unbekannten Ort.

Zwei von ihnen transportieren die Beiden in ihrem KTW. Wer da an routinierte Prozeduren denkt, liegt sicher falsch. Bevor Stefan die Szenen schildert, muss er unwillkürlich schlucken. Im Innenraum Annika auf dem Betreuerplatz. Einer der Patienten liegt, der andere sitzt. Vorne eine Begleitperson der Palliativ-Patienten. Am Steuer: Stefan.

Auf dem Rückweg, allein, führen beide sich das Erlebte vor Augen. Und wieder ist es ein gewohntes Bild aus dem Alltag, das auf seine Art „hilft“. Ein Stau und zähfließender Verkehr sind fast schon ein Stück wohltuender Normalität nach dieser bewegenden Begegnung.

Stichwort: ASB-Regionen

| Das Hochwasser und das damit verbundene menschliche Leid war Beweggrund auch für die anderen Einsatzkräfte des ASB, sich aufzumachen, um professionell zu helfen. Sie kamen aus den Region Ulm, Alb-Donau, Heidenheim, Aalen.

Spuren des Schlamms | Bildnachweis: ASB Region Karlsruhe (A. Walke)

Sauber zurück am Platz | Bildnachweis: ASB Region Karlsruhe (A. Walke)

„Menschen greifen in der Not nach jedem Strohhalm. Was man spürte, war Dankbarkeit – unabhängig vom Dialekt, den man sprach, oder was auf dem Kennzeichen stand.“

Stefan Walke